Der Zisterzienserorden

Um die Wende des 5. Jahrhunderts, als die Kirche aus so mancher Wunde innerer Spaltungen und Irrlehren blutete, sandte ihr Gott einen Mann, der ihr als Werkzeug dienen sollte zur Wiederbelebung des Glaubens. Es war Benedikt von Nursia (480-543), der Patriarch und große Gesetzgeber der Mönche des Abendlandes. Schon in seiner zarten Jugend hatte er die Welt verlassen, um in stiller Einsamkeit Gott allein zu dienen. Bald jedoch scharten sich Jünger um ihn, und auf Antrieb des Heiligen Geistes verfaßte er jene Regel, die ein Meisterwerk ist und wohl geeignet, ihre Beobachter zur höchsten Vollkommenheit zu führen.

Das schwache, in Subiaco gepflanzte Reis des Benediktinerordens entwickelte sich bald zum weltüberschattenden Baume, unter dessen Ästen die bis dahin so rauhen, dem Heidentum ergebenen Nationen des Nordens friedlich ruhten. Unsterblich sind die Verdienste dieses Ordens um Kultur, Wissenschaft und christliche Gesittung. Leider blieben die Mönche nicht allzu lange ihrer Regel treu. Der Reichtum, den sie sich durch ihren Fleiß und die Freigebigkeit der Fürsten und Völker erworben, Übergriffe weltlicher Großen und menschliche Schwachheit hatten eine Erschlaffung der Ordenszucht zur Folge. Wohl setzte im 8. Jahrhundert eine große, weithin wirkende Reformbewegung ein, deren Seele der heilige Benedikt von Aniane (750-821) war. Doch nur zu bald erkaltete der Eifer der Mönche wieder.

Um 910 trat die Reform von Cluny ins Leben. Cluny wurde bald ein berühmtes Musterkloster, das sich schnell zu einer Kongregation entwickelte, deren Einfluß sich während mehrerer Jahrhunderte auf die gesamte Kirche erstreckte. Aber es kam auch ein Niedergang.
Da erweckte Gott den heiligen Robert, um dem alten Orden zu neuer Blüte zu verhelfen und das heilige Feuer der Benediktiner, das einst so hell loderte, wieder anzufachen. Vergebens hatte Robert sich bemüht, die zerfallene Klosterzucht zu Montier de la Celle (auch St. Pierre de Troyes genannt), in St. Michel de Tonnerre und Molesme wiederherzustellen. Mit zwanzig gleichgesinnten Mönchen gründete er 1098 in einer fast unzugänglichen, wenige Stunden von Dijon entfernten Einöde ein Kloster, das den Namen Citeaux erhielt und die Wiege des in der Folge so berühmten Zisterzienserordens wurde. Der wahre Geist des hl. Benedikt lebte wieder auf. Die Mönche von Molesme erwirkten jedoch Roberts Rückkehr in ihr Kloster (1099).

In Citeaux wurde zu Roberts Nachfolger der bisherige Prior Albericus gewählt, ein gelehrter Ordensmann, der die Regel und seine Brüder liebte. Er stellte die jungendliche Abtei unter den besonderen Schutz des Apostolischen Stuhles, schrieb die „Regel der von Molesme gekommenen Mönche" nieder, die eine äußerst strenge Lebensweise, größte Armut und harte Arbeit verordnet. An Stelle der bisherigen schwarzen führte er die weiße Kleidung ein zu Ehren der Gottesmutter, die fortan die besondere Schutzpatronin seiner Mönche sein sollte. Damit die Mönche sich ungestörter der Beschauung und den übrigen Übungen des geistlichen Lebens widmen könnten, schuf er die Einrichtung der Konversen (Laienbrüder), die sich in der Folge so verdient um den Orden machten.

Neun und ein halbes Jahr hatte Abt Alberich seine Brüder geleitet, da er am 1.9.1109 zum Herrn heimging. Sein Nachfolger wurde Stephanus, ein Engländer, der mit den andern von Molesme nach Citeaux gekommen war. Unter ihm erhielt der Orden seine endgültige Gestalt. In den ersten Jahren seiner Regierung wurde Citeaux schwer heimgesucht, und fast schien es, als sollte auch diese Gründung dem baldigen Untergang geweiht sein. Doch mit dem Jahre 1112 trat ein Wendepunkt ein. Bernhard, aus dem Geschlechte der Ritter von Chatillon, bat mit dreißig anderen vornehmen Jünglingen um das heilige Ordenskleid.

Citeaux erwachte zu neuem Leben, und Bernhards Beispiel führte dem Kloster so zahlreiche Novizen zu, daß schon in den nächsten Jahren folgende Tochterklöster gegründet werden konnten: La Ferté (1113), Pontigny (1114), Clairvaux (1115), mit dessen Gründung der 24 jährige Bernhard betraut wurde, und Morimond (1115). Als auch aus diesen Klöstern eine Reihe von Tochterklöstern hervorgegangen war, entschloß sich der hl. Stephan, das Gedeihen seines Ordens zu sichern.

Nach der Regel des hl. Benedikt waren die Mönche dem Abte unterstellt, aber die Äbte hatten kein Oberhaupt; auch fehlte jenes Band, das die einzelnen Klöster zu einem gemeinsamen Ganzen vereinigte.

Abt Stephan berief nun 1119 ein Generalkapital, auf dem er, unterstützt von den Ratschlägen der übrigen Äbte, die unvergleichliche „Carta caritatis, Urkunde der Liebe“ entwarf. Das Band der Liebe sollte alle Klöster umfassen und so zu einer einheitlichen Ordensfamilie gestalten. Das Haupt des ganzen Ordens war der jeweilige Abt von Citeaux. Der Vaterabt hatte die Pflicht, jährlich seine Tochterklöster zu visitieren. In jedem Jahre sollten sich die Äbte zu einem Generalkapital versammeln, um die Angelegenheiten des Ordens zu besprechen und über die Beobachtung und Einheit der Ordenszucht zu wachen.

Nunmehr begann für den Orden eine mehr als 200-jährige Ruhmeszeit. Rasch verbreitete er sich über die Grenzen Europas hinaus. Reiche und Arme, Gelehrte und Unwissende baten um das demütige Kleid der Zisterzienser. Von Päpsten, Kaisern und Königen wurden sie geehrt und mit den schwierigsten Aufträgen betraut. Bei allen wichtigen Angelegenheiten zogen die Päpste Zisterzienser zu Rate und verliehen dem Orden besondere Auszeichnungen und Privilegien. Papst Alexander III. nannte den Orden einen „Tröster und Helfer, dessen Anker des Glaubens das im Wirbelsturm hin und her geworfene Schifflein Petri festgehalten habe, dessen Äbte für den Frieden der Kirche die größten Mühen und Gefahren auf sich genommen hätten“.

Die Zisterzienser erwarben sich unvergängliche Verdienste um Kirche und Reich, um Ackerbau und Gewerbe, Kunst und Wissenschaft. Vor allem aber zeichneten die sich aus durch die Heiligkeit ihres Lebens und durch ihre Nächstenliebe. Die Kranken, Armen und Pilger klopften nie vergebens an die Pforte der Zisterzienserklöster. Und besonders in den Zeiten allgemeiner Bedrängnisse zeigte sich diese monastische Nächstenliebe, die sich wie ein kostbares Erbgut bis auf den heutigen Tag in den Zisterzienserklöstern erhalten hat. Die Abteien des Ordens von Citeaux waren Stätten der Frömmigkeit und Arbeit, der Künste und Wissenschaften. Die Mönche wurden allen alles, um alle für Christus zu gewinnen.

Doch nach einer herrlichen Blütezeit von mehr als zwei Jahrhunderten kam allmählich der Verfall. Die erste Ursache war wohl die Lage und Zahl der mehr als 700 über ganz Europa zerstreuten Klöster. Viele Äbte erschienen nicht mehr auf dem Generalkapitel. Der allzu große Reichtum und der häufige Verkehr mit der Welt hatten die frühere Einfachheit verdrängt. Milderungen der Regel hatten innere Zwistigkeiten, Erschlaffung der Ordenszucht und Verweichlichung zur Folge. Dazu kamen noch die Kriege und ansteckende Krankheiten, sowie die Übergriffe der Großen und Mächtigen der Welt. Durch das Kommendenunwesen, infolgedessen Fremde, oft sogar Laien den einzelnen Abteien vorstanden, wurde die Wirksamkeit des Ordens fast gänzlich lahm gelegt. Der Glanz dieses einst so hell leuchtenden Morgensternes war verdunkelt, und die Kirchenspaltung des 16. Jahrhunderts vernichtete den größten Teil der Klöster. War auch der Geist des alten Citeaux und des hl. Bernhard nicht gänzlich erloschen, so sollte der Orden sich doch nicht mehr zu seiner früheren Macht und Größe erheben.

Bernhard von Clairvaux
Bernhard von Clairvaux