Der Kulturkampf

Mariawald Plan 19

Still und zufrieden lebten die Trappisten im Mariawald, unbekümmert um das Urteil der Welt. In ihrer Einsamkeit dienten sie Gott und verwandelten die verödeten Ländereien in fruchtbare Gefilde. Unter unsäglichen Schwierigkeiten hatten sie dem widerstrebenden Eifelboden in harter, unverdrossener Arbeit Erträge abgerungen, die die Anerkennung aller erzwangen, die das Klostergut noch vor wenigen Jahren in trostlosem Zustand gesehen hatten. Die zerfallenen Gebäulichkeiten waren wieder aufgebaut, und nicht nur Katholiken, sondern auch Andersgläubige waren voll des Lobes über die Tätigkeit der Mönche auf dem Kermeter. So schrieb unter anderem die liberale Elberfelder Zeitung: „ Man muß bezeugen, daß in der öden Niederlassung von Mariawald durch die Trappisten Großes geschaffen worden ist, und daß sie für die Bodenkultur tüchtig gewirkt haben.“ Und dennoch sollte diesem friedlichen Wirken nur zu bald ein Ende bereitet werden. Düstere Wolken hingen am Horizont. Kaum war das Waffengeklirre des Deutsch-Französischen Krieges verklungen, kaum waren die Siegeslieder verstummt, als das Ungewitter des Kulturkampfes ausbrach.

Der Kampf richtete sich zwar zunächst gegen die Jesuiten, die durch das Gesetz vom 4. Juli 1872 ausgewiesen wurden. Nur zu bald sollten auch die übrigen Orden fallen. Am 21. August 1874 hatte der Minister der geistlichen Angelegenheiten erklärt: „daß ein Messelesen in Klöstern, sobald Andächtige dazu zugelassen werden, namentlich, wenn Fremden der Zutritt gestattet wird, unter die Bestimmungen des Gesetzes vom 11. Mai, resp. des Artikels 2 des Gesetzes vom 21. Mai fällt“, wie die Aachener Regierung unterm 5. Oktober mitteilte. Anfangs Oktober 1874 erschien der Bürgermeister Kleinen von Gemünd in Mariawald. Die Klostergemeinde sang eben die Komplet. Alle Chorreligiosen mußten vor ihm erscheinen und ihren Namen, ihr Alter, ihren Geburtsort und ihre Beschäftigung angeben. Jeder mußte seine Aussage eigenhändig unterschreiben. Am 24. Oktober stattete der Bürgermeister Kleinen dem Kloster abermals einen Besuch ab. Diesmal brauchten nur die Priester zu erscheinen, denen er den Erlaß vom 21. August mitteilte, wonach die Priester, mit Ausnahme des Priors, nur bei verschlossener Tür das heilige Meßopfer darbringen durften.

Der Winter ging ohne weitere Behelligung vorüber, aber anfangs Februar 1875 erschien der Bürgermeister aufs Neue während der Komplet und verlangte P. Alfons Bensegger zu sprechen. Er teilte ihm mit, daß er als Ausländer (P. Alfons Bensegger war ein geborener Schweizer) das Königreich Preußen zu verlassen habe. Zum Zeichen seiner Bereitwilligkeit sollte er die bürgermeisterliche Aufforderung unterschreiben. Schweigend unterzeichnete P. Alfons und leistete dem Ausweisungsbefehl Folge, um dem Kloster Mariawald keine weiteren Schwierigkeiten zu bereiten. Er begab sich in die an der belgisch-holländischen Grenze gelegene Trappistenabtei Achel, wo dem Verbannten ein echt brüderlicher Empfang zuteil wurde.

Auf dem Kermeter arbeiteten unterdessen Patres und Brüder unermüdlich weiter, wenngleich alle ahnten, daß auch sie in kurzer Zeit gezwungen würden, ihr geliebtes Kloster zu verlassen.

Nur zu bald schlug die Schicksalsstunde für Mariawald. Am 31. Mai 1875 wurde das Gesetz verkündet, dessen § 1 lautete: „Alle Orden und ordensähnlichen Kongregationen der katholischen Kirche sind, vorbehaltlich der Bestimmung des § 2, von dem Gebiet der preußischen Monarchie ausgeschlossen“. Bald erschien auch schon als pflichttreuer Beamter der Preußischen Regierung der Landrat von Schleiden, Freiherr von Harff, begleitet von seinem Sekretär und dem Bürgermeister Kleinen in Mariawald. Die Klosterinsassen mußten einzeln erscheinen und jeder wurde genau ausgefragt; besonders aber interessierten sich die Herren zu erfahren, wieviel Geld ein jeder mit ins Kloster gebracht hatte. Da das veröffentlichte Gesetz verordnete, daß die Ordens-Niederlassungen innerhalb sechs Monaten aufzulösen seien, und die Staatsbehörden einstweilen das Vermögen der Klöster in Verwahrung und Verwaltung zu nehmen hätten, gab man dem Prior von Mariawald den Rat, die Ernte sowie den Viehbestand, die Acker- und Handwerksgeräte zu verkaufen.
Die Maurer, Steinmetzen und Tagelöhner wurden abgelöhnt und entlassen. Ruhe und Friede schienen aus dem Kloster gewichen. Fremde Menschen gingen aus und ein, um die durch den Schleidener Gerichtsvollzieher Dreckstäter zu versteigernden Gegenstände in Augenschein zu nehmen. Am 14., 15. und 16. Juni fand die Versteigerung des Ernteaufwuchses, der Pferde, Kühe, Schafe, des Holzes und aller Acker- und Handwerksgeräte statt. Wehmütig mag da mancher Bruder hingeschaut haben auf jene Werkzeuge, die er selbst angefertigt, deren er sich so oft bedient hatte und die nun dem Meistbietenden zuerkannt wurden. Die durch die Versteigerung erzielte Summe belief dich auf annährend zweitausend Mark. Die Mühle in Heimbach wurde für sechstausend Taler verkauft, womit die auf dem Kloster lastende Hypothek gelöscht wurde. In den Monaten Juli, August und September kamen viele fremde Leute ins Kloster, um das zu holen, was sie bei der Versteigerung erstanden hatten. „Über unsere Wiesen, Äcker, Gärten und Obstbäume fiel man her“, sagt die Chronik, „als ob es sich um eine allgemeine Plünderung gehandelt hätte; jeder suchte für den gezahlten Preis soviel als möglich wegzuholen“. – „Ein entsetzlicher Anblick für uns“! –

Infolge der Verfügung der Königlichen Regierung zu Aachen vom 10. August cr. I. 1860 begab sich der Bürgermeister Kleinen nach Mariawald, um dem P. Prior mitzuteilen, daß das Kloster aufgehoben sei, und die Mönche dasselbe bis zum 15. September verlassen müßten. Wahrscheinlich eine kurze Frist, die bei dem besten Willen nicht eingehalten werden konnte. Die Trappisten betreiben vorwiegend Ackerwirtschaft; man war gerade mit der Ernte beschäftigt, als die Verfügung eintraf. Wo sollten die 38 Ordensleute in so kurzer Zeit ein neues Heim finden? Die Abreise verzögerte sich somit um einige Wochen. Ende September begab sich P. Anselm mit acht Brüdern auf das Landgut Stovern in Westfalen, das der Baron Twickel ihnen zur Wohnung und Bebauung überlassen hatte. Bald wurden sie jedoch von der Polizei entdeckt und als staatsgefährlich ausgewiesen. P. Prior Eduard Scheby ging mit drei Patres und acht Konversbrüdern nach Deurne in Holland, wo er eine ehemalige Pastorat und ein kleines Landgut, Ried genannt, angekauft hatte. Sie setzten das klösterliche Leben fort, so gut es die Verhältnisse gestatteten. Doch der Aufenthalt in Deurne konnte auf die Dauer nicht befriedigen. Als im Jahre 1877 der Generalvikar des Ordens zur Visitation nach Deurne kam, wurde die Niederlassung nach eingehender Prüfung aufgehoben, weil an ein regulares Klosterleben daselbst nicht zu denken war. Die einzelnen Ordensmitglieder konnten sich nach ihrem Gutdünken in ein anderes Kloster begeben. Am 4. Oktober desselben Jahres wurde das in Deurne erworbene Gut und sämtliches Mobiliar verkauft. Bei ihrer Trennung hegten die Ordensleute den einen Wunsch, sich recht bald in Mariawald wiederzusehen. Für mehrere sollte dieser Wunsch jedoch nicht in Erfüllung gehen.

P. Prior Eduard Scheby ging mit Br. Petrus nach Sept-Fons in Frankreich und 1880 von dort nach Mariathal in Sachsen. Er war geboren zu Kopenhagen am 3. Oktober 1814. In Göttingen, Heidelberg und Berlin widmete er sich dem Studium der Rechtswissenschaft. Im Jahre 1845 kehrte er, der von protestantischen Eltern geboren war, in den Schoß der katholischen Kirche zurück, wurde 1850 zum Priester geweiht und trat 1852 bei den Trappisten in Ölenberg ein. In seinen letzten Lebensjahren war er vollständig blind und starb an Altersschwäche am 7. Oktober 1888 zu Mariathal in Sachsen. Sein Begleiter, Br. Petrus Christen, kehrte später nach Mariawald zurück.
Am 2. November 1875 gegen zehn Uhr morgens erschienen Gendarme in Mariawald, um die noch anwesenden Brüder gewaltsam auszuweisen. Die Brüder begaben sich in benachbarte Orte, kehrten jedoch kurz nachher in weltlichen Kleidern zurück, um als „Knechte“ auf dem verwaisten Klostergut zu arbeiten. P. Leo blieb auch noch einige Zeit, um den Brüdern heimlich Gottes-dienst zu halten. Er wurde aber bald von „gewissenhaften“ Beamten entdeckt und als staatsgefährlich des Landes verwiesen. Die Aachener Regierung scheint wirklich Angst vor den harmlosen Mönchen gehabt zu haben, denn am 26. November 1875 fragt sie bei dem Bürgermeister Kleinen telegraphisch an: „Haben die Trappisten Mariawald verlassen? Telegraphische Antwort, umgehend schriftlichen Bericht. Königliche Regierung, v. Leipziger.“ Die Antwort des Bürgermeisters, die noch am selben Tage abging, lautete: „Trappisten haben Mariawald bereits in voriger Woche verlassen. Ein Mann aus Heimbach bewacht das Gut.“ Und in seinem Berichte vom selbigen Tage teilt der Bürgermeister seiner Behörde in Aachen mit, daß von dem ganzen Klostergute nichts verändert worden sei, was darauf hindeute, daß van der Meulen (der Abt von Ölenberg) für eigene Rechnung weiter wirtschaften werde. (vgl. St. Anna-Blatt, Düren, Oktober 1912). Der Bürgermeister hatte recht. Mariawald blieb Eigentum der Abtei Ölenberg, und Abt Ephrem van der Meulen verteidigte seine Rechte als Eigentümer des Klostergutes. Ebenso verteidigte er auch die wenigen Brüder, die als „Knechte“ in Mariawald zurückgeblieben waren, als man die Behauptung aufstellte, einige seien infolge des Vorgehens der Regierung aus dem Orden getreten oder abgefallen. „Keiner“, so schreibt Abt van der Meulen , „hat um die Entlassung aus dem Orden nachgesucht, und von keinem habe ich gehört, daß er willens sei, aus dem Orden zu treten …“ „Das Leben (der ehemaligen Trappistenbrüder, nunmehrigen „Knechte“) in Mariawald soll nach meinem besten Willen nur ein solches sein, daß man in christlicher Einigkeit dort arbeitet und für die Erhaltung meines Eigentums Sorge trage. Dazu brauche ich einen Verwalter und Knechte“. Der erste Verwalter war der ehemalige Br. Joseph Strickelmann, der jedoch kraft einer von Abt Ephrem van der Meulen ausgestellten Vollmacht am 27. November 1875 vor dem Notar Theodor Jansenius aus Düren die Verwaltung Herrn Breuer aus Heimbach übertrug. Von den Brüdern, die mit Wissen der Staatsbehörde in Mariawald zurückgeblieben waren, um die Bewirtschaftung des klösterlichen Eigentums fortzusetzen, verlangte die Regierung – (ein Beispiel, welche Eingriffe in das innerkirchliche Leben man sich gestattete) – einen päpstlichen Dispens von allen Ordenverpflichtungen, sowie den täglichen Genuß von Fleischspeisen. Daß einem solchen Ansinnen nicht entsprochen wurde, versteht sich von selbst. Die Regierung scheint das Unsinnige ihrer Forderung eingesehen zu haben, denn sie bestand nicht weiter darauf. Man muß sich eigentlich doch noch wundern, daß sie nicht auch versucht hat, den Speisezettel vorzuschreiben.

Am 24. Januar 1883 teilte der Bürgermeister Kleinen dem Abte von Ölenberg mit, daß die Provinzial-Verwaltung in Düsseldorf eine Arbeiter-Kolonie zu gründen beabsichtige. Er fragt daher an, ob der Abt geneigt wäre, das Klostergut zu diesem Zwecke zu verpachten oder zu verkaufen. Ephrem war jedoch körperlich und geistig so schwach, daß er die Angelegenheiten des Klosters nicht mehr wahrnehmen konnte. Der damalige P. Prior von Ölenberg antwortete dem Bürgermeister unterm 28. Januar, daß es immer der Wille des Abtes gewesen sei, Mariawald zu behalten, da man die Hoffnung nicht aufgegeben habe, dorthin zurückzukehren. Am 17. Juli desselben Jahres schrieb der Landesdirektor der Rheinprovinz in derselben Angelegenheit nach Ölenberg; doch auch diesem Herrn wurde keine andere Antwort zuteil als jene, die der Bürgermeister Kleinen einige Monate zuvor erhalten hatte.

Abt Andreas, der an die Stelle des im März 1883 gestorbenen Abtes Ephrem zum Abte von Ölenberg gewählt worden war, richtete am 12. Juli 1883 ein Gesuch an den Minister zwecks Wiedererrichtung des Trappistenklosters Mariawald. Unterm 7. September desselben Jahres wurde ihm geantwortet: „ … Daß die Herren Minister gegenüber der Vorschrift des § 1 des Gesetzes vom 31 Mai 1875 sich nicht in der Lage befinden, die Errichtung einer Trappisten-Niederlassung zu genehmigen.“

Nicht mehr lange sollte indessen Mariawald um seine stillen, friedlichen Bewohner trauern. Diese harte Zeit nahte ihrem Ende, eine Zeit glorreicher Bewährung der echten katholischen Treue in schwerem Kreuz und Leid.